12. September 2003

 

 

USA versus China - eine zweiseitige Zwickmühle

von Marco Feiten


Zunächst zum Begriff ‚Zwickmühle’ der von „Wahrig Deutsches Wörterbuch“ definiert wird als ausweglose Situation, in der man, wie man sich auch verhält, Unannehmlichkeiten bekommt, meines Erachtens eine treffende Beschreibung des gegenwärtigen Verhältnis zwischen der absteigenden Weltmacht USA und der aufsteigenden Weltmacht China.

 

 

China – die „Fabrik der Welt“ 

In den vergangenen Wochen waren immer wieder Meldungen zu lesen wie „Microchip Technology zieht nach China“ oder „Warburg Pincus will in China investieren“. Während die chinesische Wirtschaft boomt, zeigt die US-Wirtschaft nach wie vor keine Anzeichen für neues starkes Wachstum. China entwickelt sich immer mehr zur „Fabrik der Welt“. Die Warenflut aus dem Reich der Mitte schwillt weiter mit atemberaubendem Tempo an.

2002 verkauften die Chinesen Textilien im Wert von 3,1 Milliarden US-Dollar an die USA, 60% mehr als ein Jahr zuvor. In diesem Jahr liegen die Zahlen bisher sogar um mehr als 100% über den Vorjahreswerten. Ab 2005, wenn im amerikanisch-chinesischen Handel alle Schranken fallen sollen - so erwartet es der Branchenverband American Textile Manufacturers - werden etwa drei Viertel aller in den USA verkauften Textilien "Made in China" sein. Ähnlich sieht es im Hightech-Bereich aus, wo das Wachstum der Exporte in die USA von 2000 bis 2002 bei 32% lag. Auf China entfallen zwar bisher nur rund 5% des Welthandels, das Land ist allerdings eine der dynamischsten Volkswirtschaften der Welt und das zweit reichste Land, wenn man als Maßstab die Devisenreserven von etwa 350 Milliarden US-Dollar Mitte 2003 zugrunde legt. In 2002 exportierte China insgesamt Waren im Wert von 326 Milliarden US-Dollar, rund 22% mehr als im Jahr zuvor und auch in diesem Jahr setzt sich das Wachstum fort. Speziell die USA beziehen in nie da gewesenem Ausmaß Waren aus dem „kommunistisch“ geführten Land. Als Folge hiervon hat die Volksrepublik bereits im Jahr 2002 im Außenhandel mit den USA einen Überschuss von 103 Milliarden US-Dollar erreicht. Einen solchen Saldo hat es im bilateralen Handel noch nie gegeben. Vom US-Leistungsbilanzdefizit entfallen somit rund 20% auf China. Der Trend ist weiter intakt: Das US Handelsdefizit mit China hat sich zuletzt von 11,3 Milliarden US-Dollar im Juli auf einen Rekordwert von nun 13,4 Milliarden US-Dollar im August ausgeweitet.

 

Handelsbarrieren gegen China

Normalerweise würde es bei solchen Ungleichgewichten zu einer Anpassung der Währungen kommen, das heißt, der chinesische Yuan müsste deutlich gegen den US-Dollar aufwerten, doch die chinesische Währung ist an den US-Dollar gebunden. Seit 1994 ist der Yuan mit dem 8,28-fachen des US-Dollar bewertet und kann nicht frei gehandelt werden. Trotz der in der US-Statistik ausgewiesenen wirtschaftlichen Erholung, an deren Qualität und Nachhaltigkeit jedoch starke Zweifel angebracht erscheinen, haben die USA in den vergangenen 37 Monaten 2,7 Millionen Arbeitsplätze in der Produktion verloren. Als Ursache dafür sieht man in den USA den Wettbewerbsvorteil Chinas, der aus der Währungsanbindung des chinesischen Yuan an den US-Dollar resultieren soll. So überrascht es nicht, dass US-Politiker immer häufiger nach Handelsbarrieren zum „Schutz der heimischen Wirtschaft“ verlangen. Am 16. Juni 2003 hat US-Finanzminister John Snow erklärt, Washington sei nicht länger bereit, die chinesische Währungspolitik zu dulden. „We expect our trading partners to treat our people fairly... and we don’t think we’re being treated fairly when a currency is controlled by government”, so auch der US-Präsident George W. Bush in einem Interview mit dem Fernsehsender CNBC.

 

Nach einem kürzlich erfolgten Treffen des US-Finanzministers mit Regierungsmitgliedern in Peking, haben sich die chinesischen Offiziellen bereit erklärt, mittelfristig der Wertfeststellung der Landeswährung Yuan eine höhere Flexibilität einzuräumen. Die chinesische Regierung kündigte im Gespräch mit dem US-Finanzminister an, mittelfristig dem Yuan eine Handelsspanne zu eröffnen, oder den Wechselkurs an verschiedene Währungen zu binden. Derzeit sei jedoch keine Änderung geplant. Peking sorgt sich im Falle einer sofortigen Änderung um Arbeitsplatzverluste in ländlichen Gebieten. Die Volksrepublik möchte eine Aufwertung solange wie möglich verhindern angesichts einer Arbeitslosigkeit von rund 15% sowie immenser fauler Bankkredite. Der Chef der Regulierungsbehörde für das Bankwesen, Liu Mingkang, beziffert die notwendigen Abschreibungen der Banken auf über 500 Milliarden US-Dollar oder 40% des chinesischen Bruttoinlandsproduktes. Die chinesische Strategie scheint erfolgreich zu sein, wenn man die oben angeführten Headlines bzw. die steigenden Direktinvestitionen bedenkt. Kaum ein „westliches“ Unternehmen kann es sich leisten, seine Produktion nicht nach China zu verlegen. Die Folge ist eine wachsende Arbeitslosigkeit und eine fallende Industrieproduktion in der „westlichen Welt“, wodurch der Ruf nach Handelsbarrieren immer lauter wird. US-Finanzminister John Snow bezeichnete die Möglichkeit der Erhebung von Strafzöllen gegen China als „letztes Mittel“, um Chinas Regierung zu einem freien Handel des Yuan zu bewegen. In Bezugnahme auf die Frage, ob die Regierung bis zu 40% hohe Zölle auf chinesische Güter erheben könne, sagte Snow: „Ich glaube diese Maßnahme wäre ein letztes Mittel“.

 

 

Währungsbindung bringt Vorteile

Wie so oft fehlt den Politikern das wirtschaftliche Verständnis. Die Geschichte ist reich an Handelsbarrieren, die zwar die Gemüter beruhigt, aber an der Lage nicht viel verändert oder sie gar noch verschlechtert haben. Chinas Wertkette, der Weg von Produzenten zum Kunden, bietet vielen Ländern die Möglichkeit, daran zu partizipieren. Andy Xie von Morgan Stanley beschreibt in seinem Beitrag „China: Punishing hoom?“ eine Zulieferkette vom chinesischen Industriepark Suzhou zu einem Supermarkt in Chicago: Einem Unternehmen aus Singapur gehört womöglich das Gebäude, ein weiteres aus Hong Kong besitzt und managt die Fabriken, ein japanisches liefert die Ausstattung und ein US Markenanbieter übernimmt das branding und den Import aus China. Eine koreanische Transportfirma verschifft die Waren in die USA und ein US Warenhaus übernimmt letztlich die Lagerung, bevor das Produkt im Chicagoer Supermarkt in den Regalen steht. An Chinas Export verdienen also letztlich viele andere Unternehmen aus diversen Ländern mit. Xie schätzt, dass für jeden US-Dollar Wert den China in die USA exportiert, die US-Wirtschaft 4 US-Dollar an zusätzlichem Wert generiert, bevor die Güter den US-Konsumenten erreichen. Im vergangenen Jahr exportierte China Waren im Wert von 125 Milliarden US-Dollar in die USA, im ersten Halbjahr 2003 wuchs diese Zahl um weitere 25% an, sodass letztlich in diesem Jahr Güter und Dienstleistungen im Wert von 156 Milliarden US-Dollar exportiert werden dürften. Die US-Wirtschaft würde demnach 625 Milliarden US-Dollar oder 5,8% des Bruttoinlandsproduktes an zusätzlichem Wert generieren, was nicht zuletzt Arbeitsplätze schafft bzw. sichert. Zurück auf das Beispiel des Chicagoer Supermarktes: dessen Profite sind abhängig von der billigen Lieferung aus China und würden unter hohen Zöllen auf chinesische Güter ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen werden. Xie glaubt daher, dass die US-Wirtschaft letztlich mehr unter den eigenen Handelsbarrieren leiden würde als die chinesische.

Die Marktforscher des japanischen Thinktank Dai-Ichi Life Research Institute gehen davon aus, dass eine Neubewertung des chinesischen Yuan auch den asiatischen Volkswirtschaften mehr schaden als nützen würde und dass ein solcher Schritt nur wenig dazu beitragen würde, das Deflationsproblem in Japan in den Griff zu bekommen. Sollte eine Aufwertung stattfinden und der Yuan wie es vielerorts gefordert zum 6,73-fachen des US-Dollar bewertet werden, so würde Chinas Wirtschaftswachstum um 3,3 Prozentpunkte fallen. Die Entscheidung der chinesischen Regierung, die Neubewertung des Yuan zu verschieben, ist in den Augen der Marktforscher korrekt, da eine Neubewertung zum jetzigen Zeitpunkt negativ auf die Volkswirtschaften in den USA, China und Japan gewirkt hätte.

 

 

Die US-Dollar-Druckerpresse – ein Perpetuum mobile?

 

Die durch Fed-Gouverneur Ben Bernanke berühmt gewordene US-Dollar-Druckerpresse, die es der US-Regierung erlaubt, „zu vernachlässigbaren Kosten so viele US-Dollar zu drucken wie sie will“, läuft auf Hochtouren, was sich nicht zuletzt im starken US-Geldmengenwachstum ausdrückt. China und andere asiatische Länder produzieren immer mehr Güter und Dienstleistungen, die USA produzieren immer mehr US-Dollar. Japanische oder chinesische Unternehmen erhalten nach dem Export ihrer Waren in die USA logischerweise US-Dollar, die sie aber gegen die heimische Währung wechseln wollen. Damit es aber nicht zu einer Aufwertung der Währung kommt, weiten die jeweiligen Notenbanken ebenfalls ihre Geldmengen aus und kaufen dann für die eigene Währung US-Dollar, die sie wiederum in US-Anleihen anlegen - wodurch das immense US-Handelsbilanzdefizit bzw. der Kreislauf überhaupt erst ermöglicht wird. Problematisch wird es dann, wenn Yuan oder Yen beginnen aufzuwerten – und diese Entwicklung ist auf absehbare Zeit nahezu sicher. Die US-Dollar-Druckerpresse ist kein Perpetuum mobile – zwar können tatsächlich unbegrenzt viele US-Dollar gedruckt werden, aber deren „Energie“, die Kaufkraft, wird entsprechend sinken, wenn nicht in Relation zu anderen Währungen, dann wohl zu Rohstoffen. Die Asiaten werden nicht ewig den Kreislauf am leben halten. Japan wartet bis seine Wirtschaft die deflationäre Krise überwunden, China bis es einen festen Halt bzw. eine bestimmte tragfähige wirtschaftliche Größe erreicht hat. Sobald eines dieser Länder dazu übergehen wird, seine Währung nicht mehr künstlich zu drücken, wird eine weitere substanzielle Abwertung des US-Dollar mit weiteren negativen Folgen auftreten.

 

 

Zinswende – auf ins Stagflationsszenario

 

Es wird dann wahrscheinlich zu starken Kapitalabflüssen aus US-Anleihen kommen, was zuletzt schon in großem Ausmaß passiert ist und einen Zinssprung in kürzester Zeit erzeugt hat. Der Anleihenmarkt ist wesentlich größer als der Aktienmarkt und entsprechend bedeutender. In den vergangenen Monaten schien man einen neuen „Greenspan-Put“ gefunden zu haben, denn mit der Fed-Ankündigung auch durch unkonventionelle Maßnahmen den Zins nach unten zu ziehen um eine Deflation zu verhindern, floss in nie gekanntem Maße Kapital in die US-Anleihen – eine zweite Bubble war geboren. Und diese ist Mitte Juni geplatzt. Kurzfristig dürfte es zu Gewinnen bei Anleihen bzw. zu fallenden Zinsen kommen, denn jene sind nun relativ zu Aktien wieder interessanter geworden. Auf Sicht der kommenden Jahre sollten die US-Anleihen aber eher weiter fallen, wie es auch Bill Gross, Verwalter des weltgrößten Anleihenfonds Pimco, angedeutet hat. Gross rechnet mit einem mehrjährigen Bärenmarkt bei Anleihen, was synonym zu steigenden Zinsen wäre. Letztere haben schon binnen kürzester Zeit den Refinanzierungsboom enden lassen, dürften aber als nachhaltiger Trend weitaus gravierendere Folgen haben. Verbraucher, die ohnehin bereits stark verschuldet sind, müssten zwangsläufig ihren Konsum einschränken und die Unternehmen würden daher weiterhin Investitionen vermeiden. Steigende Zinsen und steigende Rohstoffpreise würden sich somit in das an dieser Stelle oftmals dargestellte Stagflationsszenario fügen, die Börsen entsprechend belastet bleiben.

 

 

Die Chinesen haben die besseren Karten 

Auch wenn sich die USA und China in einer zweiseitigen Zwickmühle befinden, das heißt, China vom US-Konsum und die USA von chinesischen Käufen US-amerikanischer Wertpapiere abhängig sind, so befindet sich China dennoch in einer besseren Position. Die Volksrepublik wird künftig eine stärkere Binnennachfrage generieren können, da die Menschen zum einen vergleichsweise hohe Ersparnisse haben, zum anderen weitreichende Konsumwünsche offen stehen. Ferner dürften ausländische Investoren längerfristig China klar den USA vorziehen, selbst unter dem Aspekt der politischen Stabilität. Handelsbarrieren durch die USA würden letztlich beide Länder und somit die gesamte Weltwirtschaft belasten.

Früher oder später werden die Chinesen dem Druck der US-Regierung nachgeben und den Yuan aufwerten, was den US-Dollar entsprechend unter Druck setzen dürfte. Asiatische Länder dürften dann geneigt sein, ihre hohen US-Dollar-Reserven auch in chinesische Yuan zu wechseln. Ein fallender US-Dollar und eine ohnehin stagnierende Wirtschaft dürfte aber weitere Anleger dazu motivieren, ihr Kapital aus den USA abzuziehen, sodass sich ein gefährlicher Abwärtsstrudel entwickeln könnte. Ein Sprichwort sagt: „Sei vorsichtig mit dem was du dir wünschst, es könnte in Erfüllung gehen.“ Dieses scheint in den USA unbekannt zu sein.

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